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Eröffnung der Ausstellung Zwischenräume – Bilder von Gideon Tomaschoff Im Kunstverein MMIII am 7. Mai 2011
Ich solle mich kurz fassen. Hat Gideon sich gewünscht…Ich glaube nicht, dass das funktioniert, denn eben so wenig, wie sich seine Bilder auf einen 1. schnellen Blick erschließen, sondern eine intensive, durchaus auch mehrmalige Betrachtung verlangen, so kann auch ich nicht nur einen Satz zu den Bildern sagen. Gideon Tomaschoff ist seit Anfang März in Mönchengladbach, hat in dieser Zeit gemalt, über die Familienhistorie recherchiert, hat Kontakte zu Galerien auch über die Grenzen von Mönchengladbach hinaus geknüpft, hat Freundschaften geschlossen. In dieser Zeit haben wir viele Gespräche über seine Bilder geführt, über seine Kunst, über seinen Weg zur Kunst. Das ist ein Glückstreffer für eine, die einen Katalogtext und eine Rede schreiben möchte – und zugleich ein „Fluch“. Je mehr ich erfuhr, um so mehr Fragen über die Bilder und den Zugang zu ihnen entstanden in meinem Kopf: Was haben die Bilder zu tun mit dem jüdischen Bilderverbot? Natürlich nichts, denn Gideon ist kein orthodoxer Jude. Aber dennoch… „Du sollst Dir kein Bildnis machen“: Da steckt doch auch etwas von „Du kannst Dir überhaupt kein Bildnis machen“ drin? Ein Bild bleibt ein Bild und ist und kann nicht Wirklichkeit sein, höchstens, um Gideon zu zitieren „ein Spiegel der Realität“ – spiegelverkehrt? Was haben die Bilder zu tun mit der hebräischen Les- (und Schreib)art? Was haben die Bilder zu tun mit den historischen Wurzeln des Künstlers, die auszugraben er während seines Aufenthaltes in Mönchengladbach begann? Das sind nur ein paar der Ideen, ich will Sie nicht länger damit quälen, aber Sie sehen, wo es hinführt: Niemals gibt es nur einen einzigen Zugang zu komplexen Bildwelten. Zurück zum Weg Gideons in die Kunst: Der ja schon ungewöhnlich ist: Tomaschoff studierte in Israel Maschinenbau und war damals an Kunst nicht wirklich interessiert. Die Geburt seinen Sohnes und etwa parallel dazu der Umzug nach Nordamerika Anfang der 1990er Jahre brachten einen tiefen Einschnitt. Lebensentwürfe änderten sich. Gideon absolvierte ein Studium am Ontario College of Art and Design in Toronto. Seitdem malt er. Begann mit figurativer Malerei, malte Architekturen, Fassaden, Menschen. Das letzte Bild zu Ende des Studiums war ein figuratives. Das Porträt eines im Krieg verwundeten Freundes. Als dies fertig gestellt war, entschloss sich Gideon, nie mehr figurativ, sondern ungegenständlich zu malen. Diese Form von Figuration, zumal dieses Porträt, war zu intensiv, zu direkt und dem Maler zu nahe gekommen. Gideon wechselte zur Ungegenständlichkeit, zur Abstraktion. Im englischen bedeutet „abstract“ so etwas wie Auszug oder Übersicht, eine Form von Reduzierung. Bezogen auf die Kunst: Trifft dies nicht den Nagel auf den Kopf? Themen, Konzepte, Gedanken, Emotionen, Erinnerungen werden in Farbe zusammengefasst. Befreit vom konkreten Gegenstand, bietet die Abstraktion der Vorstellungskraft größte Spielräume. Natürlich kann ich in Gideons Bildern beispielsweise Landschaften mit Horizonten, Wäldern, Flüssen, Bergen sehen. Beabsichtigt ist dies vom Maler nicht. Gideons Bilder sind komplex und basieren auf einem komplexen Arbeitsprozess. Da ist zunächst die technische Vorbereitung der Leinwände. Eine Vielfalt sowohl klassischer als auch innovativer Materialien bilden die Grundierung, deren Zweck es ist, die Leinwand nicht zum Bollwerk gegen die Farbe werden zu lassen, sondern ganz im Gegenteil ihr Fließen und Aufsaugen zu garantieren. Nach der Grundierung beginnt Tomaschoff, Farbschicht um Farbschicht auf die Leinwand aufzutragen. Eine Farbschicht fügt der bereits bestehenden in einem ununterbrochenen Arbeitsprozess eine neue Dimension hinzu, verändert und verwandelt den Grund, enthüllt, was vorher nicht sichtbar war, obwohl sie sich doch darüber legt. Eine komplexe, vielschichtige Bildwelt entsteht und leitet den Blick ins Innere, in die Tiefe. Schichten treten in den Dialog miteinander. Tomaschoff verwendet im wesentlichen transparente oder semi-transparente Farben. Nach dem Auftragen der Schichten werden sie regelrecht attackiert. Aufgebautes wird abgetragen, aufgeraut, zerstört, verwundet – ohne dass das Bild dadurch vernichtet würde. Im Gegenteil: die radikale Bearbeitung der Bildoberfläche enthüllt, eröffnet, schafft neue Welten. Nur was man in die Leinwand hinein gibt, so das Credo des Künstlers, bekomme man auch aus ihr heraus. Und dennoch sei seine Arbeit, so Tomaschoff, wie eine Reise auf dem Drahtseil: Jeder weitere Pinselstrich, jede weitere Farbschicht, jedes Abkratzen oder Schaben birgt die Gefahr in sich, das Bildergebnis auf eine Weise zu verändern, die vor dem Künstler keinen Bestand hat. Ein Werkstoff, der von Tomaschoff während des Malens nicht bewusst eingesetzt werden kann, ist das Licht. Licht ist ein wesentlicher Faktor in der Betrachtung und in dem Erleben der Bilder von Tomaschoff. Ein zunächst banaler Gedanke, ist Licht doch schlechthin unerlässlich, um überhaupt sehen zu können. Doch – und dies mag den transparenten Farben geschuldet sein, die der Maler verwendet – greift Licht hier wesentlich in die Bildgestaltung ein: Je nach Qualität, Intensität und Temperatur verändert es das Gemälde, lässt vorher Ungesehenes aufscheinen, produziert Unerwartetes und Ungeplantes, das selbst für den Künstler neu ist. Es stellte sich im übrigen während des Aufbaus der Ausstellung und früherer Diskussionen über die Bilder heraus, dass die Frage nach dem Licht fast eine philosophische zu sein scheint. Während Gideon Kunstlicht bevorzugt, gibt es die Betrachter, die auf Tageslicht bestehen. Tatsache ist: die Bilder sind je nach Beleuchtung völlig verschieden. Gideon baut seine Bilder auf. Sie bestehen aus einer Vielzahl von Schichten, die einander überlagern. Ähneln damit den geologischen Schichten der Erde, in denen dem, der gräbt, Vergangenheit, Vergessens enthüllt und offenbart werden kann. Erinnerungen, Gedanken, Emotionen aus einer kulturellen Vergangenheit werden enthüllt und verborgen und wieder enthüllt. Titel wie „Vergessen und wieder gefunden“, „Aufgebrochen“ und „Fußspuren“ verdeutlichen diese Gedanken. In der Arbeit an der Vergangenheit schwingt auch die Idee von Zeit mit. Zeit vergeht, Zeit verrinnt, Zeit verführt zum Vergessen. Wie soll man Zeit, ein flüchtiges Element, manifestieren, festhalten, einfrieren? Jeder Versuch wird scheitern und dennoch werden immer wieder erneute Versuche angestellt. Tomaschoff stellt als Künstler Fragen an Zeit und Erinnerung, an Zeit und Vergessen und bemüht sich um Antworten. Er visualisiert in seinen Bildern die Dichte und das Vergehen von Zeit. Ein Zwischenraum – um auf den Titel der Ausstellung zu verweisen - unterscheidet sich vom Raum durch Begrenzung. Sich in Zwischenräumen aufzuhalten ist ein außergewöhnlicher Zustand positiver Einschränkung. Ein Zustand des Innehaltens, der Fokussierung, der besonderen Wahrnehmung, eines intensivierten Denkens. Ein Zustand des Erkenntnisgewinns. Die Kunst ist ein solcher Zwischenraum an sich. Treten Sie ein. ©Sigrid Blomen-Radermacher
Den virtuellen Katalog zur Austellung von Gideon Tomaschoff finden sie hier. |